Hallo Rudi,
Seenebelvorhersage ist schwierig und birgt immer eine Fehlerquote in sich. Während Vorhersagen für andere Wetterelemente, wie z. B. Wind, seit Jahren eine hohe Trefferquote aufweisen, ist die (See)Nebelvorhersage nach wie vor ein Bereich mit ein paar Fragezeichen: zu viele nötige Vorbedingungen und zu viele lokale Effekte spielen da hinein. (Sollten Leute auf Punktvorhersagen schwören, die Geschichte von den „Stadtviertelvorhersagen“ aufwärmen usw., glaub ihnen nicht: das sind Schwätzer.) Man kann vorhersagen, daß für ein bestimmtes Gebiet an einem bestimmten Tag Seenebel wahrscheinlich sein wird; aber das willst Du ja nicht wissen. Du willst wissen, ob an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit Seenebel aufzieht oder nicht; das wird Dir keiner sagen können. Fachleute haben hervorragende Computerprogramme dafür ausgetüftelt, aber gelöst ist das Problem bis heute nicht.
Die Voraussetzungen für Seenebel sind schon genannt worden: Feuchte, warme Luft zieht über kaltes Wasser. Genau genommen muß die Taupunkttemperatur der Luftmasse höher sein als die Wassertemperatur. Die Taupunkttemperatur oder kurz „Taupunkt“ wird nicht gemessen, sondern aus den gemessenen Temperatur- und Feuchtewerten errechnet (es gibt dicke Bücher dazu). Manche Vorhersage-Rechenmodelle sagen auch den Taupunkt vorher; doch schon hier ist Vorsicht und der Vergleich mehrerer Modelle angebracht, denn auch die Vorhersage des Taupunktes kann von Modell zu Modell um plusminus 1 Grad schwanken - zu viel, um eine sichere Entscheidung zu treffen.
Wir sprechen von verschiedenen Arten der Seenebelbildung:
Auf der Deutschen Bucht ist öfter Nebel anzutreffen, der sich nachts auf dem Festland gebildet hat und und mit dem schwachen Wind aufs Meer hinaus driftet. So ist es gar nicht selten, daß sich über den Feuchtwiesen der holländischen Provinzen Friesland und Groningen nächtlicher Nebel bildet, der mit Südwestwind als breites Feld die Ostfriesischen Inseln und die Deutsche Bucht mit Helgoland überzieht. Satellitenbilder und/oder Webcams bzw. Wettermeldungen um Leeuwarden und Groningen dürften diese Lage beurteilen helfen. Der Wind muß dabei nicht stark sein, 1-2 Beaufort reichen. Solange die Sonne nicht hochgestiegen ist und den Nebel in Holland wegheizt, hast Du gleichmäßigen Nachschub bis in die Mittagszeit hinein. Frischt dabei der Wind auf, verwirbelt die unterste Luftschicht mit höheren (kühleren oder trockeneren) Luftschichten, und der Nebel wird förmlich „zersetzt“.
Der „wirkliche“ Seenebel entsteht, wenn, wie oben geschrieben, feuchtwarme Luft übers frühjahrskalte Wasser zieht: dann bildet sich der Nebel direkt auf dem Wasser. Manchmal kündigt sich schon am Abend zuvor durch rasch verdichtenden Dunst auf offener See so ein Nebelfeld an, das sich in der Nacht erst bilden wird. Dabei ist selten die ganze Deutsche Bucht betroffen: oft bildet sich nur in einer Region ein großes Feld, während andere Bereiche nebelfrei bleiben. Winzige Temperaturunterschiede des Wassers, dünne Feuchteschlieren der Luft entscheiden über Bildung oder Nichtbildung, über dichte Suppe oder einzelne Fetzen. (Diese kleinsten Schwankungen der Vorbedingungen sind es, die die Prognose so schwierig machen: wie soll man das vorausberechnen?) Bei dieser Nebelart muß es nicht zwingend windstill sein: auch 2-3 Beaufort sind möglich und manchmal sogar förderlich, denn wenn diese Luftmasse bodennah verwirbelt, wird ja immer neue feuchtwarme Luft aufs Wasser gedrückt - es bildet sich also immer neuer Nebel; die berüchtigten „Neufundlandnebel“ entstehen so. (Starker Wind löst aber auch diesen Nebel auf.) Der Regelfall im Spätfrühling ist nachts sich auf der Deutschen Bucht bildender Seenebel, der vormittags mit dem Nordwestwind in die Lüneburger Heide und die Altmark „hineinbrandet“, oder mit dem Westwind über Schleswig-Holstein bis weit in die Ostsee getrieben wird.
Es gibt auch Mischformen. Tritt z. B. der Südwestwind, der den holländischen Festlandnebel aufs Meer treibt, auf der Vorderseite eines Tiefs über England auf, so wird mit dem Wind zugleich "per se" feuchte Warmluft auf die Nordsee gelenkt. Bei so einer Wetterlage ist im Frühjahr nicht nur mit herantreibendem Nebel zu rechnen, die feuchte Warmluft sorgt für stete Neubildung auf dem Wasser. Solange das Tief nicht durchzieht und damit der Wind auffrischt und/oder die Deutsche Bucht auf die Tiefrückseite kommt, bleibt der einmal gebildete Seenebel bestehen. Ähnlich wirkt ein ausgedehntes Hoch über Mitteleuropa, womöglich mit Kern über Ost-Mitteleuropa: es lenkt von Süden her in langsamem, stetigem Strom feuchtwarme Luft auf die Nordsee. Dort ist es dann windschwach, mild, vielleicht sogar sonnig - und zugleich treiben je nach Windrichtung dicke Nebelfelder von See an die küstennahen Inseln.
Auf der Ostsee wirkt manchmal der einsetzende Seewind „nebelfördernd“: wenn das warme Festland den kühlenden Wind von See ansaugt, zieht es auch dessen Nebelfelder an - dann kommt bei gerade bei schönstem Frühjahrssonnenschein mit einem Schlag Nebel auf, der früh noch Dutzende Kilometer weit „draußen“ gelegen hatte. Auf der Nordsee dürfte der Effekt auch so wirken und zeigt, wie vielgestaltig das Problem ist.
Das sind noch nicht alle Nebelarten. Wolfgangs Bild z. B. zeigt wunderschön „Seerauch“, der entsteht, wenn sehr kalte, trockene Luft, vom Gletscher kommend, über warmes Wasser strömt. Da hier die Nebenbildung ausschließlich dicht an der Wasseroberfläche stattfindet, darf der Wind dabei nur schwach sein: jede stärkere Bö, die trocken-kalte Luft „von oben“ aufs Wasser herunterholt, läßt den Seerauch schmelzen.* Im Binnenland an frostigen Herbstmorgen zu sehen, wenn Seen und Flüsse „dampfen“, ist dieser Nebel für Nordseepaddler unerheblich. Wichtig für uns sind die zwei oben genannten Formen.
Wie sagt man das nun vorher?
Hier gehe ich auf dünnem Eis, denn wer damit zu tun hat, nutzt so viele interne, nicht öffentlich verbreitete Computerprogramme, daß er wenig Überblick über die frei verfügbaren hat. Ich selbst schaue mir als Binnenpaddler vorher eine Grobprognose „Regen oder nicht Regen“ an und urteile dann während der Fahrt mit Kompaß und allen meinen Sinnen, nutze also den Segen des Internets kaum und kann wenig Greifbares beitragen
Natürlich gibt der
Seewetterbericht des DWD Auskunft über die Lage (klick auch oben rechts bei „Mehr Nord- und Ostseewetter“!) und, glaube ich, auch über Seenebel - genau weiß ich es nicht, ich bin, wie gesagt, Binnenpaddler. (Daß der Bericht die letzten Tage nichts davon schrieb, liegt daran, daß wir das Gegenteil von Seenebel hatten: Aprilwetter...) Einen weiteren Anhaltspunkt geben Satellitenbilder, wie sie z. B.
Kachelmannwetter oder
Wetter.com anbieten. Bereits vorhandene Nebelfelder kann man hier erkennen und sich im Film die Zugrichtung anschauen - solange keine höher liegenden Wolken den Blick zum Boden verdecken.
Den Taupunkt rechnen mehrere Modelle voraus. In der
"Wetterzentrale" kann man sich solche aussuchen, z. B. das amerikanische GFS-Modell: GFS (links oben) --> 2 Meter Taupunkt (ein kleiner Knopf in der Kopfleiste) --> 00, 06, 12 anklicken, das sind die Stunden, die vom Startzeitpunkt des Modells in die Zukunft gerechnet wurden. „06“ heißt also: sechs Stunden vom „init“-Zeitpunkt nach vorn. Klick Dich durch und probiere auch andere Modelle aus! (Taupunkt = Dew Point.) Ähnliche Spiele kannst Du in der
Modellzentrale treiben. Jedes Land legt in seinem Modell das Augenmerk auf Erscheinungen, die für die Bürger besondere Bedeutung haben, weshalb die einzelnen Modelle in kleinem Rahmen differieren. Nur die Zusammenschau mehrerer Modellrechnungen ermöglicht realistisches Abschätzen: gehen mehrere Modelle in die gleiche Richtung, ist die gezeigte Entwicklung wahrscheinlich. Laufen die Ergebnisse alle auseinander, bist Du (und auch der Fachmann) genauso schlau wie vorher. Die Aussage „Das xy-Modell ist das beste, das haut immer hin“ ist ebenso viel wert wie der Satz „Ich tippe immer die 13, das hat mir schon viel Glück gebracht“. Kann durchaus klappen; muß nicht.
Zur Wassertemperatur hat Lars Klüser schon den Link zum BSH geliefert:
BSH.de --> Sport und Freizeit --> Baden und Meer --> Nordsee. Die
Wassertemperatur ändert sich von Stunde zu Stunde nur träge, die Karte ist also für einen Tag recht aussagekräftig.
Viele Modelle berechnen auch die Bedeckung mit „tiefen Wolken“. Dies nützt Dir wenig, denn es schließt nicht nur Seenebel, sondern auch Wolken mit 50, 100 und 150 Meter hoher Untergrenze ein. Nur wenige Modelle haben den Mut, aufliegende Wolken, also Hochnebel oder Nebel, öffentlich vorherzusagen. Die Universität Warschau macht seit ein paar Jahren diesen Versuch:
www.meteo.pl --> oben auf die britische Flagge gehen --> die hellbraune Zeile „Model UM“ anklicken --> in der dünnen dunkelbraunen Zeile „Detailed Maps“ anklicken --> in der Spalte der Wetterelemente kannst Du dann klicken: „fog“ ist eine konzentrierte Teilmenge von „visibility“, hilft quasi bei der „Ja-Nein-Aussage“; ebenso die Spalten „relative humidity wrt water“ und „very low clouds“, die drei im Verbund ermöglichen schon eine Abschätzung der Verhältnisse. (Tip für Ostseepaddler: auf der Startseite oben auf die britische Flagge gehen --> „New weather maps service available at: maps.meteo.pl.“ anklicken --> in der Spalte rechts „UM 1,5 km“ anklicken --> es öffnet sich ein feinmaschig berechnetes Computermodell, das u. a. Mittelwinde und Böen für die deutsche, polnische und schwedische Ostseeküste vorhersagt.) Eine Bitte dabei: vertraue auch hier nicht blind auf Berechnetes! All die oben erwähnten Einschränkungen gelten auch für dieses Modell, und so oft die Nebelberechnung präzise eintrifft, so oft liegt sie auch mal daneben. Es ist eine wertvolle Hilfe für Abschätzung und Entscheidungsfindung. Mehr nicht.
Und noch eine generelle Einschränkung: Länger als fünf Tage im Voraus rechnet kein Computermodell eine Vorhersage hinreichend zuverlässig. Jeder Tag im Voraus vergrößert die Fehlermöglichkeiten etwas mehr, so daß bei Vorhersagen länger als fünf Tage „nach vorn“ die Grenzen zwischen Meteorologie und Psychologie verschwimmen, will sagen: Glaube versetzt Berge. Vielleicht werden die Programmierer in zehn Jahren an dem Punkt weiter sein, aber derzeit sind Vierzehn-Tage-Vorhersagen oder gar Jahreszeitprognosen, mit denen einige „Meteorologen“ gutes Geld verdienen, in meinen Augen Scharlatanerie. Beschränken wir uns auf das Machbare und überlassen wir den Rest der Vielfalt der Natur.
Die von U. B. genannte 0900-Nummer kostet übrigens 1,24 Euro pro Minute und endet nicht in Helgoland, sondern in Hamburg.
Ich bin kein Seemeteorologe. Vielleicht schreiben ein paar Kollegen vom Seewetteramt etwas dazu, einige von Euch paddeln ja auch. Nehmt Ihr Seenebel in den Bericht?
Das mal so als grobe Anhaltspunkte. Wohlan, gute Fahrt und klare Sicht dabei!
Gernot
*
Seerauchschwaden und Quellwolken sehen sich zwar ähnlich, entstehen aber auf verschiedenen Wegen. Während für Quellwolken / Cumuluswolken warme, feuchte Luft durch Konvektion in so große Höhen aussteigt, daß sie kühl genug ist, um eine Luftfeuchte von 100 % zu entwickeln, kommt bei Seerauch die Abkühlung, die zur Kondensation führt, durch unmittelbaren Wärmeaustausch zwischen Luft und Wasser auf den untersten 2-5 Metern der Luftschicht zustande. Eine Hebung der Luftmasse ist nicht nötig, sie stört eher nur. (Theoretischer Kleinkram, aber so wird eben Seerauch draus und kein Gewitter ) Ansonsten sind die Bildungsarten, sprich Kondensationsvorgänge natürlich gut vergleichbar. - So, genug Korinthen gekackt. Hals- und Beinbruch für Deine Fahrt!