Salut,
zunächst einmal sind echte "Weltneuheiten" nur noch auf Kaffeefahrten anzutreffen. Im Bereich traditionelles Gebrauchsboot wird in etwa alles halbwegs Zweckmäßige ausprobiert worden sein.
Ein Boot, das gleichermaßen zum Paddeln mit Stech- und Doppelpaddel geeignet sein sollte, gab es schon einmal und zwar von Hart (Bilder derzeit bei ebay oder per PN). Obenrum etwas "Canadier"-Look, dazu die Luke eines Langluken-2er-Kajaks, unten aber fast der Rumpf eines Zweierkajaks aus dem gleichen Haus. Weil man etwas höher saß, konnte man die Sitze näher aneinander rücken. Auffällig war, dass das Boot, anders als ein kanadischer Kanadier, relativ gestreckte Linien hatte und nicht diesen Hängeschweinbauch, den viele Wanderkanadier haben, wenn man sie auf die Seite stellt. Das Boot war nicht schlecht, aber auch kein Brüller, und wie vieles von Hart auf Reihenhausgaragenlänge abgestimmt. Das Fahren mit Doppelpaddel war nur deswegen möglich, weil man relativ gestreckte Linien hatte, die man bei den Booten der Neufundlandindianer überhaupt nicht erkennt. Wo soll man denn da einstechen? Ganz klar Boote für Stechpaddel!
Ich vermute, dass der Hüftschwung im Süllrand dazu da war, Lasten, wie große Fische oder lange Fangleinen besser an Bord nehmen zu können. Ein normales Kanu wird, sofern man es genügend auf die Kante legt, irgendwann im Bereich seiner Mitte mit dem Süll unter die Wasserlinie kommen und von dort aus vollaufen. Warum also nicht diesen exponierten Bereich etwas höher ziehen? Andererseits will man an den Enden, an denen die Paddler sitzen, Platz für das Führen der Stechpaddel lassen.
Die hochgezogenen Enden sollen sicherlich dem Trockenlauf dienen und ein Unterschneiden beim Ablaufen vor Wellen vermeiden.
Ich habe mir Abbildungen von Booten der Neufundlandindianer angesehen und dort gesehen, dass sie keinen platten Boden haben. Ihr Querriß ist entweder rund oder fast v-förmig, was in beiden Fällen gewisse Vorteile bietet, wenn man sowas fahren kann und wenn man mit wechselnder Beladung unterwegs ist. Außerdem scheinen sie entweder einen gleichmäßigen(!), leicht negativen Kielsprung oder fast gar keinen zu haben. Dieser Kielsprung in Verbindung mit einem unten abgerundeten V sollte sich unbeladen, bei ruhigem Wasser flott fahren lassen und ausreichend geballastet sicher fahren lassen. Dazu vermute ich einen relativ guten Geradeauslauf. Eine gewisse Windanfälligkeit versteht sich bei so viel Boot über der Wasserlinie von selbst.
Im Bereich zeitgenössischer Nostalgieprodukte kann ich kein Boot finden, das denen der Neufundlandindianer besonders ähnelt. Wenn du um die 3ooo € ausgeben würdest und was Küstentaugliches zum Fahren mit Stechpaddeln suchst, würde ich wahrscheinlich einen Scorpio nehmen. Ausgesprochene Arbeitsboote sind meistens auf Leichtlauf, Zuladung und auf genügende Sicherheit getrimmt. Wenn Du sowas suchst, wirst Du für weniger Geld ein Boot finden, das schneller geklaut würde.
Boote mit fließenden Linien, Linien die so wie eine sanft gebogene Holzleiste verlaufen, fahren meistens recht gut. Ein L/B-Verhältnis unter 9 geht schwerstens auf die Reisegeschwindigkeit und ist im Grunde nicht nötig. Ein offenes Kanu mit einem L/B-Verhältnis das zwischen Rapid-Fire und Rage von Letttmann liegt, wir dir an der Küste keine Freude bereiten. Das hat verschiedene Gründe: unter anderem hat es mit der Wellenbildung zu tun, unter anderem mit dem Bugwinkel, der dadurch groß wird.
Kurze breite Boote, die zu allem Überfluss konkave Formen mit besonders ausladenden konvexen Formen kombinieren, bekommen dadurch einen zu stumpfen effektiven Bugwinkel. Am Anfang, kurz nach der Bugspitze ist noch alls gut, aber dann muss das Wasser mit einem umso größeren Winkel weiter zerteilt werden. Schließlich saugen sie stärker, sofern man die gleiche Katastrophe am Heck wiederholt. Leichtlauf können sie trotzdem haben. Im Canadierforum hat einer vor kurzem einen günstigen Kanadier gesucht und ich habe ihm den empfohlen, den die Nassauer als Vereinsboot gekauft haben. Dafür ist das hier dann aber definitiiv das falsche Forum. Außerdem gibts im Woodenboatsforum eine Sparte für Design und Pläne.
Chris
ps.: Tuaregs, Cheyenne, Sioux, Cherokee, Apache, und wie sie alle heißen unterscheiden sich von den Benediktinern darin, dass sie keine Rechte an ihrem Namen haben. Ein VW-Tuareg heißt nicht so, weil er für oder mit Tuaregs entwickelt wurde, oder die ihn scharenweise kaufen. Die fahren viel lieber Toyota. Deswegen hoffe ich, mit meinen Vermutungen zu den traditionellen Booten der Neufundlandindianer niemandem auf den Fuß getreten zu sein.