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Wasserwanderrastplätze oder Biwakplätze

geschrieben von urban 
Re: Mauern
08. März 2009 17:39
Na ja, eure Reaktionen auf meinen Pooooost waren absehbar. Man steht ja schließlich drüber ...
Die Mauer in den Köpfen ist vor allem da, wo sie nicht wahrgenommen wird und genau diese Mauer ist eine Einstellungsfrage.
Ich kann mich gut daran erinnern, wie naiv und offen die Ossis den Wessis gegenüber traten und gar nicht merkten, wie verschlossen und "vermauert" diese waren. Alles noch vor der Zeit, als die Wessis erst merkten, dass es da überhaupt ein Problem gab. Dieses Problem eben erst dann merkten, als die Ossis es schon wieder abwarfen.
Übertragung zum Zwecke der Ablenkung von denen, die tatsächlich eine Mauer im Kopf hatten und diese nun denjenigen andichteten, welche einfach nur aufgrund äußerst mieser Erfahrungen ihre Offenheit bereuten und letztendlich nur abwinkten, wenn es mal wieder um das Thema "Wessis" ging.
Die sogenannten Wossis schießen dabei allerdings den Vogel ab, denn Wendehälsigkeit bleibt nun mal Wendehälsigkeit - auch wenn sie 100 Jahre zurückliegt.
Selbstverständlich ist bei mir die Zeit nicht stehen geblieben und ich habe auf meiner nunmehr 8-jährigen beruflichen wie wohlichen Odyssee in westdeutschen (süddeutschen) Gefilden auch sehr nette und hilfsbereite Wessis kennen gelernt, von welchen sich mancher Rot-Ossi eine gehörige Scheibe abschneiden könnte. Aber diese i.O.-Wessis sind dermaßen dünn gesät, dass Meister Zufall schon kräftig mitmischen muss, um ihnen zu begegnen. Ganz anders im Osten, wo einem aber auch immer noch - 20 Jahre nach Mauerfall (!) - permanent Naivität gepaart mit dem "Wie-sind-ein-Volk-Schwachsinn" und Datschenmentalität begegnet. Die meisten (im Osten gebliebenen) Ossis haben eben immer noch nicht gemerkt, wem oder was für einem System sie sich da angedient haben.
Zu ihrem mentalen Glück haben sie auch bis heute noch nicht gemerkt, wie ähnlich die DDR-Bürger dem BRD-Bürger schon lange vor dem Mauerfall in Wirklichkeit waren. Der Herrenmensch lässt eben immer noch grüßen.
Mit dem Unterschied, dass in der Diktatur die wenigen über viele und in der Demokratie viele über wenige herrschen. Und was ist da besser? Gar keines. Macht bleibt Macht und eingesetzt bewirkt sie immer Unterdrückung.
Man fühlt sich halt nur besser, wenn man zur Masse der Mächtigen gehört und nicht zur Minderheit der Ohnmächtigen - jedenfalls in der Demokratie. In der Diktatur ist es genau anders rum; frei nach dem Motto: gemeinsames Leid ist geteiltes, ist halbes Leid. So sentimental das auch ist ... jedenfalls, was die DDR betrifft. Zur Nazizeit mag dies anders gewesen sein. Schließlich fühlten sich die Gesamtdeutschen nach Kriegsende vom Hitlerfaschismus nicht befreit, sondern in ihrem Nationalsozialismus verhindert bzw. unterdrückt - von den Alliierten.
Was vom Herrenmenschentum übrig geblieben ist, merkt man an den immer noch praktizierenden Besser-Wessis-Belehrungen. Und genau darauf war mein Pooost gegründet gewesen. Man will auch nicht noch dort, wo man zu DDR-Zeiten vom DDR-Wahnsinn abschalten konnte, die Belehrungen siegermentalitärer Klugscheißer ertragen müssen. Denn vom BRD-Wahnsinn kann man komischerweise an den selben alten Orten abschalten. Was für ein Zufall ... Aber auch Schweden eignet sich gut dazu ... alle Orte, wo großflächige Natur vom Profitprinzip noch nicht geschluckt wurden.
Aber das westeuropäische (insbesondere westdeutsche) Waterloo (Weltwirtschaftskrise) ist ja schon angekommen und das Wohlstands-Provinzdenken der Westdeutschen wird darüber, wenn es in seinem Bewusstsein angekommen ist, erschrockener sein als das Looser-Denken der Ostdeutschen. Die haben das Glück aus Erfahrung zu wissen bzw. zu spüren, dass nichts für die Ewigkeit gemacht ist - auch nicht die heile Welt des deutschen Herrenmenschen ...
Re: Wasserwanderrastplätze oder Biwakplätze
08. März 2009 22:50
Wer's (Bier-) Ernst nimmt selber schuld!

Als Unterdrückter aus den 6 neuen Ländern wünsche ich mir "Wali for Diktator" - damit wir alle wieder ein herrliches Gemeinsamkeitsgefühl entwickeln können .....smileys with beer
Aber "mal im Ernst" dein Posting klingt für mich echt Gesamtdeutsch! Gratulation winking smiley
Auch Gratulation dazu dass du "darüber" stehst, dann bist du praktisch so eine art "besser Mensch" fast ein "Herr unter den Menschen" woraus man ja eine nur natürliche Legitimation zum "Herren über die Menschen" ableiten nicht nur kann sondern MUSS (im übrigen braucht niemand die beiden mittleren Wörter) grinning smiley
Re: Wasserwanderrastplätze oder Biwakplätze
08. März 2009 23:51
MOIN,
Wali lobt Schweden. Er hat aber wohl noch Reisebeschränkungen der DDR auferlegt. So wunderbar frei und vorbildlich ist es nur im Märchen. Freie Natur, dass ich nicht lache. Wer die von Talsperren verbauten, lahmgelegten Flüsse, durchschnittenen Weidegründe der Sami noch nicht gesehen hat, kanns nicht wissen und weiterträumen.
Die Albaner, die meine Schule besuchen, haben Göteborg verlassen, weil sie ständig regelrecht von der Polizei verprügelt wurden. Sie waren selber der Auslöser, weil sie permanent "organisiert" haben, aber in Ordnung ist das dennoch nicht.
Hier ginge es ihnen weitaus besser, erzählen sie mir.
Als ich im Neureichen-Edelwohnviertel draussen südwestlich vor Göteborg um Süßwasser nachfragte, sehr höflich und vorsichtig, erzitterten die lieben Schweden ob des Anblickes eines Paddlers in Paddlerklamotten, als wenn ich ein räubernder Wikinger wäre. Es wurde per Rundruf am Handy vor uns gewarnt. Na ja, ich hatte ja auch den unsichtbaren Zaun übertreten, die Rasenkante am Grundstücksbeginn.
Wir kamen dann dennoch ins Gespräch, ich erkundigte mich ausführlich nach der Bildung.
Ja, die Antwort war ein Schock. Die Gemeinde hatte im Winter für drei Monate die Schule geschlossen, weil es keinerlei Gelder für die Heizung gegeben hätte.
Muss wohl so ähnlich wie in HH-Blankenese sein. Dort hatte die Bibliothek geschlossen, kein Geld, die Megareichen zahlen keine Steuern, weil sie alles gleich gewinnbringend investieren, wohl auch gern im Ossiland, wo wir ja jeden Euro noch am Rande noch nachvergolden, weil wir ja Soli zahlen.
Ich behaupte nicht, dass diese Sicht meinerseits hochprofessionell nachgeprüft wurde. Kann sehr wohl sein dass ich Unrecht habe, aber ich schließe eine richtige Sicht meinerseits nicht aus.
Re: Wasserwanderrastplätze oder Biwakplätze
08. März 2009 23:59
Ach, was für ein unterhaltsames Gedresche am Sonntagabend… Im Faltbootforum würde ich sagen: "Chipstüte auf und Füße hoch!"

Fürs Erste triffst Du genau ins Schwarze, Wali. Beim Lesen kommt mir das Gleiche hoch, aus dem auch Du Deinen Groll speist. Auch wenn es heute boshaft klingt: 1989 bestand die Mehrzahl der den Osten Begrüßenden nicht aus verständigen, sensiblen Mitmenschen (wie die, die sich hier zu Recht getroffen fühlen), sondern aus kleinen Schaumschlägern, die die Chance ihres Lebens nutzten, einmal Groß tun zu können, ohne das Gegenüber anders denn als Reflektor wahrzunehmen (harmloses Beispiel: "Was haben Sie leeeiden müssen! Ist unsere Freiheit nicht was Tooolles?") Anstatt Fragen zu stellen, gaben sie Antworten, und hatte ein Restaurant mal nichts Vegetarisches oder ein Zeltplatz Trockenklos statt Duschhäusern, wurde laut über eigenes Leid geschimpft. Weil das eben so zu sein hatte. Die erste dieser Analviolinen traf ich am 13. November 1989 im Reichstag ("Das lernst Du auch noch! Ihr seid alle lernfähig!"), die derzeit letzte vor wenigen Wochen bei der Sprengung des Richtfunkturms in Berlin-Frohnau [de.wikipedia.org] .

Genauso war es, und Soziologen, die ihre Karriere stoppen wollen, können das massenpsychologische Phänomen untersuchen, weshalb 1989/90 die private Meinung der Ostler über die Westler innerhalb weniger Wochen von freundlicher Bewunderung ins Gegenteil umschlug. Die Gründe, die Du nennst, sind fast belanglos. Es spielt noch die übersteigerte Erwartung der Ostdeutschen (vom Westen jahrelang genährt) hinein, dazu die Erfahrung drastischer Verstöße gegen das siebte, achte und neunte Gebot in Tateinheit mit dem Bruch des elften (Du sollst nicht deines Nächsten Arbeitsplatz zerstören, um Deinen Gewinn zu steigern). Von der dritten Garnitur, die die Intelligenz der DDR beiseiteschob, um den Beförderungsstau der BRD aufzulösen, haben wir noch gar nicht gesprochen. Die Folge bis heute: ein stetiger Subventionsfluß des Staates in die Struktur des Ostens und von dort auf die Firmenkonten im Westen des Landes, dazu übrigbleibende Alt-Ostler, durch Erfahrung verbittert und mit Brettern vernagelt. Sofern sie nicht auch den Langen Marsch nach Westen wagten.


Und? Was willst Du uns damit sagen?


Du wirst es nicht ändern können, daß 90 % des Eigentums (Ost) fest in der Hand von Deutschen (West) sind. Ich auch nicht. Aber das nicht zu vergessen und trotzdem offen für andere zu bleiben, das ist das schwierige Spannende für uns! Unter Paddlern geht das immer noch am Besten. Die Alles-Egal-Paddler, Dummschwätzer und Vereinigungsgewinnler, die Du mit Deinen Worten treffen willst, wirst Du in diesem Forum kaum finden. Die meisten Autoren hier sind mittelalterlich, haben Lebenserfahrung und kennen sich im Osten wie im Westen aus - Grenzgänger also wie Du und ich. "Diese Wessis sind dünn gesät?" Paddel mal eine Woche in einer gemischten Gruppe! Wenn die Seele erst mal zur Ruhe kommt, werden die Abende am Feuer lang, dann wird nicht nur gegessen und gesungen, sondern auch erzählt und irgendwann Klartext geredet. Dann stoßen Welten aneinander, manchmal fliegen Fetzen - und gerade daraus ziehen beide Seiten Gewinn, oder? Im besten Fall entwickeln sie Verständnis füreinander und erweitern den eigenen Horizont, und damit verändern sie (vorerst) sich. Und das ist etwas, zu dem jeder beitragen kann.

Das ist ein Grund, weshalb ich gerne paddle, oft gemeinsam mit anderen: ich lerne andere Sichtweisen kennen, setze mich mit ihnen auseinander und lerne sie respektieren. (Daß wir ein gutes Stück Lebenserfahrung voraus haben, das sich andere erst erarbeiten müssen, ist unser biographisches Plus. Das brauchen wir ja nicht raushängen zu lassen.) Den eigenen Standpunkt gegen den des Anderen zu halten und offen zu sein dafür, das kannst Du im Faltbootforum und hier. Und beim real existierenden Paddeln. Das macht mir diese drei Dinge so wertvoll.

Meine Schlafstellen an der Havel verrate ich Dir gern bei einer gemeinsamen Tour, zu der ich Dich herzlich einlade. Wann bist Du mal in Berlin? Und Ihr anderen seid unbesorgt: Ihr werdet von mir weder Müll noch braune Masse dort finden.


Viele Grüße aus Berlin

Gernot

(Sieben Jahre Grenzgänger und jetzt im gemischten Team arbeitend)


PS: Lieber Ekkehard, auch wenn es viele nicht wissen: Ostdeutsche zahlen auch Soli. Genauso wie Westler. Gib Wali nicht noch Futter.
Nachgang zu Palmström
09. März 2009 10:34
Hallo Gernot,

Danke für Deinen ausgeglichenen Beitrag, dem Gesamtthread möchte ich hinzufügen:
- ich sehe den direkte Kontakt als anstrebenswert, da er plakative Äußerungen wie die hier getätigten relativiert. Meiner Meinung nach gehört sehr viel mehr Kompetenz zu einem gelungen verfassten Wortbeitrag z.B. im Forum als zu einem gesprochenen Satz, der sich in Verbindung mit sichtbarer Mimik, gelebten Kontext (Rotwein) und erlebten Ort (am Wasser) solange modellieren läßt (miteinander) bis er passt.
- ja, auch die "Ossis" zahlen den Soli. Und bei allem Hin- und Her zu Kosten, Nutzen, Ge-, Miß- und Verbrauch - Wir haben in diesem West-/Ostland einen gigantischen Umbruch OHNE Waffengewalt, Krieg oder krisenartige Unruhen bewältigt. Ich kann das Gejammer nicht mehr hören, es nervt. Es tönen vor allem die, die staatliche Verorgung einfordern, weniger die, die sich den Lebensrealitäten und dem Lebensrisiko stellen. Leiden auf höchstem Niveau. Pfui Deibel. Hilfreich ist der Blick über den Tellerrand deutscher Befindlichkeit auf die Lage weltweit. Und der macht noch in aller Regel bescheiden.

Es ließe sich noch mehr sagen, aber wie geschrieben, lieber Aug´in Aug´

FF
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