Ach, was für ein unterhaltsames Gedresche am Sonntagabend… Im Faltbootforum würde ich sagen: "Chipstüte auf und Füße hoch!"
Fürs Erste triffst Du genau ins Schwarze, Wali. Beim Lesen kommt mir das Gleiche hoch, aus dem auch Du Deinen Groll speist. Auch wenn es heute boshaft klingt: 1989 bestand die Mehrzahl der den Osten Begrüßenden nicht aus verständigen, sensiblen Mitmenschen (wie die, die sich hier zu Recht getroffen fühlen), sondern aus kleinen Schaumschlägern, die die Chance ihres Lebens nutzten, einmal Groß tun zu können, ohne das Gegenüber anders denn als Reflektor wahrzunehmen (harmloses Beispiel: "Was haben Sie leeeiden müssen! Ist unsere Freiheit nicht was Tooolles?") Anstatt Fragen zu stellen, gaben sie Antworten, und hatte ein Restaurant mal nichts Vegetarisches oder ein Zeltplatz Trockenklos statt Duschhäusern, wurde laut über eigenes Leid geschimpft. Weil das eben so zu sein hatte. Die erste dieser Analviolinen traf ich am 13. November 1989 im Reichstag ("Das lernst Du auch noch! Ihr seid alle lernfähig!"), die derzeit letzte vor wenigen Wochen bei der Sprengung des Richtfunkturms in Berlin-Frohnau [
de.wikipedia.org] .
Genauso war es, und Soziologen, die ihre Karriere stoppen wollen, können das massenpsychologische Phänomen untersuchen, weshalb 1989/90 die private Meinung der Ostler über die Westler innerhalb weniger Wochen von freundlicher Bewunderung ins Gegenteil umschlug. Die Gründe, die Du nennst, sind fast belanglos. Es spielt noch die übersteigerte Erwartung der Ostdeutschen (vom Westen jahrelang genährt) hinein, dazu die Erfahrung drastischer Verstöße gegen das siebte, achte und neunte Gebot in Tateinheit mit dem Bruch des elften (Du sollst nicht deines Nächsten Arbeitsplatz zerstören, um Deinen Gewinn zu steigern). Von der dritten Garnitur, die die Intelligenz der DDR beiseiteschob, um den Beförderungsstau der BRD aufzulösen, haben wir noch gar nicht gesprochen. Die Folge bis heute: ein stetiger Subventionsfluß des Staates in die Struktur des Ostens und von dort auf die Firmenkonten im Westen des Landes, dazu übrigbleibende Alt-Ostler, durch Erfahrung verbittert und mit Brettern vernagelt. Sofern sie nicht auch den Langen Marsch nach Westen wagten.
Und? Was willst Du uns damit sagen?
Du wirst es nicht ändern können, daß 90 % des Eigentums (Ost) fest in der Hand von Deutschen (West) sind. Ich auch nicht. Aber das nicht zu vergessen und trotzdem offen für andere zu bleiben, das ist das schwierige Spannende für uns! Unter Paddlern geht das immer noch am Besten. Die Alles-Egal-Paddler, Dummschwätzer und Vereinigungsgewinnler, die Du mit Deinen Worten treffen willst, wirst Du in diesem Forum kaum finden. Die meisten Autoren hier sind mittelalterlich, haben Lebenserfahrung und kennen sich im Osten wie im Westen aus - Grenzgänger also wie Du und ich. "Diese Wessis sind dünn gesät?" Paddel mal eine Woche in einer gemischten Gruppe! Wenn die Seele erst mal zur Ruhe kommt, werden die Abende am Feuer lang, dann wird nicht nur gegessen und gesungen, sondern auch erzählt und irgendwann Klartext geredet. Dann stoßen Welten aneinander, manchmal fliegen Fetzen - und gerade daraus ziehen beide Seiten Gewinn, oder? Im besten Fall entwickeln sie Verständnis füreinander und erweitern den eigenen Horizont, und damit verändern sie (vorerst) sich. Und das ist etwas, zu dem jeder beitragen kann.
Das ist ein Grund, weshalb ich gerne paddle, oft gemeinsam mit anderen: ich lerne andere Sichtweisen kennen, setze mich mit ihnen auseinander und lerne sie respektieren. (Daß wir ein gutes Stück Lebenserfahrung voraus haben, das sich andere erst erarbeiten müssen, ist unser biographisches Plus. Das brauchen wir ja nicht raushängen zu lassen.) Den eigenen Standpunkt gegen den des Anderen zu halten und offen zu sein dafür, das kannst Du im Faltbootforum und hier. Und beim real existierenden Paddeln. Das macht mir diese drei Dinge so wertvoll.
Meine Schlafstellen an der Havel verrate ich Dir gern bei einer gemeinsamen Tour, zu der ich Dich herzlich einlade. Wann bist Du mal in Berlin? Und Ihr anderen seid unbesorgt: Ihr werdet von mir weder Müll noch braune Masse dort finden.
Viele Grüße aus Berlin
Gernot
(Sieben Jahre Grenzgänger und jetzt im gemischten Team arbeitend)
PS: Lieber Ekkehard, auch wenn es viele nicht wissen: Ostdeutsche zahlen auch Soli. Genauso wie Westler. Gib Wali nicht noch Futter.