So, jetzt endlich mal ein paar mehr Details zur Sea Challenge 2008:
Das Rennen führt um die Insel Fünen, sieben Etappen an sieben aufeinanderfolgenden Tagen, insgesamt 290 Kilometer. Als Bootsklassen sind Tourkajaks zugelassen, eine eher dänische Spezialität, Seekajaks (faktisch alles andere, was einen Rumpf hat, seetüchtig ist und mit Doppelpaddel gefahren wird, also z.B. auch Surfskis), sowie Inrigger. Inrigger sind schwere, küstengängige Riemenboote mit Dreierbesatzung (2 pullen, einer steuert), die alle zehn Minuten untereinander wechselt, so dass jeder drankommt.
Die Inrigger starteten immer 5 min vor den Kajaks und waren ungefähr gleich schnell. Da deren Besatzungen mehr Zeit hatten, sich um den korrekten Kurs zu kümmern, waren sie oft probate Wegweiser, und man hat es schnell bedauert, wenn man keinen mehr vor sich in Sichtweite hatte.
Es ist nämlich so, dass der grobe Weg zwar meistens leicht zu finden ist, vor allem an der Nordküste, der kaum Inseln vorgelagert sind. Aber auf jeder Etappe müssen mehrere meist am Land gelegene Checkpoints passiert werden, und die waren manchmal nicht gut zu sehen, v.a. wenn man zur Vermeidung von Flachwasserzonen weiter draußen fuhr. Einen Checkpoint auslassen kostet aber mindestens eine Stunde Strafe (und ein durchgeärgerte Nacht), so dass etwas Navigationshilfe durch ortskundige Fahrer stets willkommen war. Ich hatte zwar ein GPS mit einprogrammierten Routen dabei, war aber froh, dass ich mich neben Wellen und dem Rennverlauf nicht auch noch damit beschäftigen musste. Das GPS habe ich eigentlich nur zur Kontrolle von gefahrener Strecke und Speed genutzt, was allerdings ausgesprochen hilfreich war!
Am ersten Tag gab es alle Routen auf einlaminierten Seekarten in A3-Format, die man sich aufs Vordeck pappen konnte. Bei den Tourbooten war dafür auch genug Platz. Bei meinem Nemo ist diese Fläche allerdings sehr klein, so dass ich die Karten dreifach falten musste. Daher blieb es in der Regel auch bei der ersten Ansicht, weil ich beim Fahren dann keinen Nerv mehr auf Umtüdeln hatte und mich lieber an anderen orientiert habe ... Jeden Morgen wurde die Route samt Checkpoints vorbesprochen, erst auf Dänisch und für die nicht sprachkundigen auf Englisch.
Was gab es sonst noch: Essen war fast komplett im Preis inbegriffen, d.h. das, was man nicht mit der Trinkflüssigkeit im Boot zu sich nimmt (das ist ein ganz eigenes Thema!). Start- und Zielpunkte waren Kanu- oder Ruderclubs entlang der Strecke, wo die Boote im Freien bewacht übernachteten. Für die Nacht untergebracht wurden die Teilnehmer in Turnhallen. Meine Frau und ich haben meistens im mitgebrachten Zelt übernachtet, nicht aber bei Regen und vor der Königsetappe. Die startete schon um sieben Uhr morgens, und da wäre uns das Zeltabbauen zu hektisch geworden. Das Schlafen in der Turnhalle mag etwas gewöhnungsbedürftig sein, aber niemand hat sich beschwert, und es vermittelt ebenso wie die gemeinsamen Mahlzeiten morgens und abends noch mal ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Teilnehmern.
Start der ersten Etappe ab Svendborg war 12h mittags, die anderen Etappen wurden um 10h vormittags gestartet mit Ausnahme der 80km. Das Gepäck wird vom Veranstalter mit einem 7,5-Tonner zum Ziel transportiert. Die Teilnehmer erhielten für unterwegs noch Lunchpakete. Diese habe ich immer erst am Etappenziel abgeholt, da ich beim Paddeln kein noch so leckeres Sandwich im Magen liegen haben will.
1. Etappe (Svendborg - Faaborg, 32 km)
Mit einem Kanonenschuss ging es los wie die wilde Jagd, und ich dachte noch, was haben die alle? Aber auch ich wollte ja mal wissen, was die Kiste hergibt, und hab versucht mitzuhalten. Später ist mir klargeworden, dass so ein Kajakrennen über lange Strecken Ähnlichkeit mit einem Radrennen hat; man versucht, die Welle des schnellen Vordermannes zu erwischen und quasi Windschatten zu fahren. Das war auch der Grund, weswegen es stets etwas hektisch zuging und man eigentlich keine Zeit für richtige Pausen hatte, es sei denn, man hat die mit den Mitfahrern abgesprochen. Dafür sollte man sich aber vor dem Start schon als Team verabreden. Das Fahren im Team erleichtert die Sache ungemein!
Die Sonne strahlte, wie auch fast alle anderen Tage der Tour, und der Wind kam aus Ost-Südost. Es ging flott voran mit mehr als 10km/h im Schnitt, die Spitzengruppe mit wohl eher 11,5. Die habe ich bald schon nicht mehr gesehen. Der Rückenwind brachte auch Wellen von seitlich hinten und schließlich nach Ausfahrt aus dem Svendborg Sund über weite Strecken von achtern. Gute Gelegenheit zum Surfen üben, von der ich exzessiv Gebrauch machte. Das ist wie Intervalltraining, man muss erst sprinten, um die Welle zu kriegen, und kann sich dann bei flotter Fahrt etwas ausruhen, bis sich die das Boot tragende Welle verläuft.
Aber ich musste trotzdem bald dem hohen Anfangstempo Tribut zollen, und außerdem hatte ich mir mein Kohlenhydrat-Wassergemisch wohl etwas zu dick angerührt. Obwohl ich brav meine 3 Liter leertrank, hatte ich ständig Durst, aber dafür im Ziel noch stundenlang keinen Hunger. Es war wohl auch ein Sonnenstich im Spiel.
Bei der Einfahrt in die Bucht von Faaborg kam die Welle etwas seitlich von hinten, ich hatte etwas Konzentrationsschwierigkeiten und begann kurz vorm Ziel rumzutrödeln und kreuz und quer zu fahren auf der Suche nach dem bequemsten Kurs. Dirk Schmidt hat das von hinten gesehen und hätte mich fast noch einkassiert. Rüdiger und Marianne Nielsen, eine unglaublich starke dänische Tourkajakfahrerin, waren mir schon lange enteilt. Auch deswegen, weil ich dachte, ich bräuchte meinen Trinkschlauch nicht zu verwenden. also für jeden Schluck anhalten, unter der Spritzdecke die Flasche rauskramen ... und schon schießen die Wettbewerber an einem vorbei. Wenn einem die Platzierung nicht völlig wurscht ist, macht man das einmal und dann nicht wieder. Richtig festes Essen habe ich im Boot während der ganzen Tour nicht einmal zu mir genommen ... keine Zeit, man solls angesichts von fast 300 km nicht glauben, aber es ist so, wenn man nicht nach hinten durchgereicht werden will. Es ist auf dem Wasser einfach ungeheuer schwer, einen einmal entstandenen Rückstand wieder aufzuholen, denn der Kraftaufwand steigt nun mal beim Paddeln mit der Geschwindigkeit überproportional an.
Im Ziel gabs dann erstmal ein Bier, über Nacht Kopfschmerzen wohl wegen der Sonne und deshalb am nächsten Morgen 'ne Aspirin ... sollte man aber sparsam einsetzen, macht den Magen kaputt.
2.Etappe (Faaborg - Assens, 44km)
Schon eine etwas längere Etappe, ich nahm vier Liter Flüssigkeit mit, die wohlweislich dünner angerührt waren. Man schwitzt bei Hitze und Rückenwind enorm, und auf dieser Etappe haben wir Flautenzonen durchfahren, wo die schwarz gekleideten Fahrer ganz schon gelitten haben. Was das Trinken betrifft, so sollte man bei diesem Wetter in der Tat 1liter/h einplanen. Wenn mal was über bleibt, was solls, aber zu wenig rächt sich auf wenig angenehme Weise. Selbst bei Etappen, bei denen ich keine Wellen drüberbekommen hatte, hatte ich mindestens anderthalb Liter Schweiß und Kondenswasser in der Bilge. Der Rest geht vom Oberkörper und vor allem über die Atemluft weg.
Was hab ich im Wasser gehabt? Pro Liter ca. 65 Gramm Maltodextrin, ein Gramm Salz (siehe das Posting von Rüdiger) und eine viertel Frubiase Sport zum Ersatz von anderen Mineralien. Malto ist ein Polysaccharid, das langsam wirkt. Um schneller einen Push zu kriegen, und um beim Endspurt mehr Power zu haben, habe ich diesem Mix später noch 1/3 normale Cola zugemischt. Das war's auch schon.
Auch auf der zweiten Etappe gab es tolle Surfpassagen. Die meisten Tourkajaks tun sich da etwas schwerer, weil sie wenig Volumen im Bug haben und gern mal mit der Nase in der vorderen Welle steckenbleiben. Aber es gab auch schon die ersten Buchteinfahrten mit Gegenwind. Und eine Buchtquerung mit Wellen von allen Seiten, nicht einfach. Aber ich war schon weniger eingebrochen als bei der ersten Etappe und fühlte mich im Ziel weitaus besser.
3.Etappe (Assens - Middelfahrt, 40 km)
Auch wieder eine sehr schöne Etappe mit einer Spezialität am Schluss: in der Bucht von Middelfahrt musste aus Sicherheitsgründen eine lange Schleife gefahren werden. Die versprochenen beflaggten Boote wurden von manchen allerdings nicht gefunden. Bei der Einfahrt kam mit Marianne entgegen, die schon im Ziel gewesen war und nochmal umgekehrt war, um ihre Pflichtpirouette zu drehen. Hat sie bestimmt 5 min gekostet, aber sie hatte Sorgen wegen einer mögl. Zeitstrafe. Andere sind ohne Umweg ins Ziel gefahren, haben sich dann aber gemeldet und nur 15 min zusätzlich aufgebrummt bekommen, weil sie keinen regulären Checkpoint verpasst hatten. Faire Regelung, mit der alle zufrieden waren. In Middelfahrt gab es Abends Gegrilltes, ein besonderes Highlight.
4. Etappe (Middelfart - Bogense, 40 km)
Es ging bei ruhigem Wasser und mit hohem Tempo durch den Sund von Middelfart, unter der riesigen Hängebrücke durch. Die Strömung arbeitet gegen uns, weswegen man sich am Ufer halten muss. Ich bilde mit Dirk Schmidt ein Tandem, das spart doch ganz schön Kraft. Auf dem zweiten Abschnitt bekommen wir einen Vorgeschmack auf den nächsten Tag: steifer Gegenwind. Umso wichtiger, im Team zu fahren und sich auch Windschutz zu geben. Wir landen im Flachwasser in Bogense an und gehen bald ins Bett, um für die 80km am nächsten Tag fit zu sein. Mir geht es gut, allerdings hatte ich schon morgens Probleme mit Blasen auf den Handflächen. Der Ergoschaft meines Paddels ist mit einem stumpfen Band umwickelt, das ich nun mit Fettcreme einschmiere. Das hilft enorm, und wegen der Form des Ergoschaftes stört es auch nicht bei der Paddelführung. Auch fast alle anderen haben mittlerweile wunde Pfoten.
5. Etappe (Bogense - Kerteminde, 80 km)
Morgens um sieben geht es los. Ich nehme mir mit Dirk vor, so lange wie möglich bei Torben und Marcel Heckwelle zu fahren. Das geht auch gut, selbst nach der Übertragestelle an der Insel Äbelö bei km 6. Ab da bläst uns der Wind mit 8m/s entgegen, und das für fast den ganzen den Rest der Etappe! Irgendwann kommt die erwartete Flachwasserzone vor dem ersten Checkpoint. Marcel vor mir pflügt sich einfach durch, aber ich spüre plötzlich einen Mordsdruck auf dem Paddel, gebe es ganz schnell auf, noch weiter zu folgen, und fahre 500 m links raus ins tiefere Wasser in der Absicht, einen Vorsprung rauszuholen und auf Höhe des Checkpoint wieder reinzufahren. Ich komme mir megaschlau vor mit dieser Idee, und anfangs scheint es zu klappen. Aber ich verpasse den Checkpoint fast und muss auch noch feststellen, dass die anderen durch den Kilometer, den ich an Umweg gefahren bin, doch drei Minuten Vorsprung bekommen haben. Bei der zehn Kilometer weiter gelegenen Zwangspause haben Marcel und Rolf schon eine Viertelstunde Vorsprung. Rüdiger kommt rein und sagt, dass er aufhören muss. Dirk und ich haben uns vorher wiedergefunden und fahren nach der Pause gemeinsam weiter. Nach zehn Minuten kommt uns Rolf entgegen, dessen Blasen zu schlimm geworden sind und der deshalb auch abbrechen muss.
Ich selbst komme kurz darauf in die Bredouille, als beim Queren einer Bucht plötzlich ordentlicher Seitenwind aufkommt und giftige Wellen von der Seite, mit denen ich erstmal nicht klarkomme. Ich setze mich halb vor die Wellen und verliere Dirk, der als erfahrener Seekajaker garnicht verstehen kann, warum ich mich so anstelle. Irgendwie dümpele ich diagonal über die Bucht und finde Dirk am Ende einer Landzunge zum Glück wieder, denn ich muss was an meinem Rückpolster ändern, wobei er mir hilft, und ich hätte auch keine Lust gehabt, ganz alleine weiterzufahren. Nach der nächten Biegung geht es bis zum Ziel nur noch südostwärts dem Hack entgegen. Aber das macht mir irgendwie nichts aus. Wer immer gegen den Rhein anfährt, entwickelt eine gewisse Frustrationstoleranz für Gegendruck.
Zehn Kilometer vor dem Ziel will ich den Trinkschlauch an eine andere Flasche tüdeln, und Dirk fährt allein weiter, weil dem ein direkter Verfolger in der Rangliste im Nacken sitzt. Für meine Bastelaktion suche ich mir die falsche Stelle aus, falle fast ins Wasser, habe das Paddel unterm Boot; und die letzte Trinkration dümpelt zehn Meter von mir entfernt in der Ostsee rum. Diese peinliche Episode kostet mich fünf Minuten und die letzten Nerven. Ich lass den Schlauch weg, lege den Trinkbeutel auf meine Spritzdecke und fahre weiter, den Rest irgendwie hinter mich bringen. Der Verfolger von Dirk, Michael Anderson, ist mit seiner Esplora schon in Sichtweite, aber er macht den Fehler, zu weit draußen zu fahren, wo Wellen und Wind ihn ausbremsen. Ich kann ihm bis zum Ziel sogar wieder einige Minuten abnehmen.
Im Ziel bin ich nach 9:50 h wirklich sehr müde, aber die Tatsache, dass ich ganze Zeit gut mit Wasser, Salz und Kohlehydraten versorgt war, wirkt sich nun sehr positiv aus. Die Nacht kann ich trotzdem nicht gut schlafen, wie die meisten Nächte nicht, es ist einfach eine so außergewöhnliche Erfahrung, dass ich schwer abschalten kann und nach lange nach- und vorbereite. Fast die Hälfte der Teilnehmer haben auf dieser Etappe die Segel streichen müssen.
6. Etappe (Kertemide - Nyborg, 20 km)
Ein Sprint - dachten wir. Der Wind kam immer noch von vorne, aber das ging für mich ja noch. Ich fahre wieder Schlepptau bei Marcel, Dirk hinter mir, bis wir nach Südwesten abdrehen, der Wind auf 10 m/s anschwillt und die Wellen brechend von der Seite kommen. Man ahnt, wie ich das geliebt habe. Marcel und Dirk nehmen mir auf den letzten fünf Kilometern fünf Minuten ab ... es gibt noch viel zu lernen. Auch Rüdiger, der wieder mitgefahren ist, liegt einiges vor mir. Die Anlandung in Nyborg findet am Strand statt. Eigentlich war eine Unterfahrung der Brücke geplant, um den Startpunkt des nächsten Tages an der anderen Seite des Landvorsprungs von Nyborg zu erreichen, aber der Veranstalter entscheidet angesichts des Sturms, die Boote im Anhänger umzufahren.
7. Etappe (Nyborg - Svendborg, 36 km)
Die letzte Etappe führt nach Südwesten. Freundlicherweise hat der Wind gedreht und bläst uns wieder genau von vorne entgegen, mit 8-9 m/s. Also weiter gegen den Hack. Am Anfang findet Dirk nicht den Anschluss, weil er mit seinem Sitz kämpft, ich fahre wieder mit Marcel, Torben und Rolf (der wieder fit ist), bis das erste Flachwasser kommt ... schon bin ich abgehängt! Den Rest der Etappe bestreite ich alleine, gejagt von der Meute, die gierig hinter mir herfährt. Vor der Etappe hatte davon geträumt, den zehn Minuten vor mir liegenden dänischen Tourkajakfahrer (Peter-Michael Nielsen) noch zu kriegen, aber den habe ich nun auf den Fersen. Zu allem Überfluss finde ich die Einfahrt in den Svendborg-Sund nicht selbst, und denke mir, ganz lieb zu Peter-Michael sein, der weiß bestimmt wo's langgeht. Wir fahren durch sumpfigstes Flachwasser dem Ziel entgegen, bekommen aber auf den letzten Kilometern wenigstens noch einmal kräftig Unterstützung durch die Strömung. Dann das Ziel, Ende !!!
Die Veranstaltung war für mich und - meine ich sagen zu können - auch für alle anderen ein unvergessliches Erlebnis. Ich habe mich auch nie gefragt, was mach ich hier, nein, es hat mir auch in den schweren Momenten einfach zu viel Spaß gemacht! Es wäre deswegen großartig, wenn im nächsten Jahr einige aus diesem Forum auch dabei sein könnten. Die Veranstaltung ist wegen der etwas geringeren Teilnehmerzahl angeblich defizitär gelaufen, leider, und wenn das so bleibt, ist irgendwann Schluss, und das wäre sehr sehr schade! Deswegen - tragt die Sea Challenge 2009 schon mal in eure Kalender ein!
Gruss vom Rhein, Arnim