Die offizielle Saison nähert sich ihrem Ende, Zeit für ein vorläufiges Resümee zum Umstieg aufs Rennboot aus der Sicht eines Spätumsteigers. Möglicherweise gibt es ja weitere Aspiranten, die diesen Weg beschreiten wollen.
Bei meinen Testfahrten bin ich irgendwann beim Struer Razor hängengeblieben. Der ist etwas kippliger als ein Ranger, verzeiht aber noch so einiges. Außerdem ist er aus GFK, was bei gelegentlicher Flutung im Vergleich mit innen vielfach unlackierten Mahagoni-Booten für das Material doch bekömmlicher ist. Kenterungen gab es einige, wobei man unterscheiden muss: Unterwegs bin ich kein einziges Mal baden gegangen, was mich im Rückblick positiv stimmt. Interessanterweise ist jedoch die Kentergefahr unmittelbar am Steg am höchsten: Zweimal hat es mich unmittelbar nach dem Ablegen reingelegt. Das scheint aber symptomatisch zu sein. Offenbar braucht zumindest mein Gehirn etwas Zeit, sich auf die veränderte Balance-Situation einzustellen. Hat man erst einmal etwas Strecke gemacht, läuft es viel stabiler.
Vielfach gekentert bin ich bei Balance- und Stützübungen. Solche kalkulierten Kenterungen kann ich allerdings auch allen Anfängern empfehlen: Paddelbewegung ohne Paddel, hohe und flache Stütze, seitliche Ziehschläge, Boot mit der Hüfte ankanten, bis es vollläuft: Solche Übungen bringen Vertrauen und zeigen, wo die Grenzen liegen. Die erste Kenterung ist unangenehm, danach wird es Routine.
Insgesamt spielt der Kopf eine entscheidende Rolle: Mangelndes Selbstvertrauen und Zweifel wirken sich unmittelbar auf die Stabilität aus. Vieles hängt auch von der Tagesform ab: Beim After-work-Paddeln war ich manchmal schon so durchgekaut, dass ich die ganze Strecke rumgeeiert bin. An guten Tagen drischt man dagegen einfach durch. Streckenabschnitte, an denen eine Kenterung eher ungünstig wäre (z.B. an langen Spundwänden) verunsichern, an Strandabschnitten denkt man sich dagegen: auch egal - und wird gleich lockerer.
Lockerheit ist überhaupt die Schlüsselkompetenz, Hektik ist verheerend. Üben kann man diese eher mentalen Dinge vermutlich nur im Boot, eine konstitutionelle und muskelmäßige Grundausstattung ist jedoch genauso wichtig. Vor allem die Rücken- und Rumpfmuskulatur wird im Vergleich zum Wanderpaddeln durch die ständigen Ausgleichsbewegungen, die notwendig aufrechtere Sitzhaltung und die Oberkörperrotation viel stärker beansprucht. Hier werde ich über den Winter im Kraftraum auch nochmal gezielt nachbessern. Auch in Sachen Fitness ist eine solide Basis hilfreich: Aus brenzligen Situationen kommt man am besten raus, indem man einfach den Druck erhöht und das Boot vorwärts schiebt. Nur das bringt Stabilität. Die stabilisierende Funktion des Spannungsbogens, der entsteht, wenn man sich auf der Schlagseite bewusst mit dem Fuß abstützt, ist ganz erstaunlich. Der Preis dafür ist allerdings ein hoher Körpereinsatz, und dass man die meiste Zeit einfach durchziehen muss. Das erholsame kurze Päuschen fällt zumindest im Anfangsstadium weg.
Bei guten Bedingungen komme ich mit dem X-Lancer nun ganz gut zurecht. Wir haben zwar etwas gebraucht, uns anzufreunden, aber jetzt läuft es ganz gut. Während man - bildlich gesprochen - im Wanderboot mit dem Allerwertesten im Tale sitzt und das Ankanten sozusagen bergauf gegen Widerstand erfolgt, ist es im X-Lancer schon andersherum: Man sitzt auf dem Berg und rauscht seitlich bergab ins Wasser. Beim Cleaver und Tiger ist dieser Berg dann noch etwas spitzer und schmaler. Wohl oder Wehe hängen jedoch hochgradig von den Wasserbedingungen ab. Im Hochsommer kann die Havel hier in Berlin durch Verkehr, Wind und Reflexionswellen schon sehr unangenehm werden. Ich hatte ein Paar Ausfahrten, die waren durch chaotisches Kabbelwasser komplett spaßbefreit. Da spürt man schon, dass ein leichtes Rennboot nicht für solche Bedingungen konzipiert ist. Vom Kopfkino ganz zu schweigen. Möglicherweise werden auch solche Bedingungen durch mehr Übung und Erfahrung irgendwann leichter zu nehmen sein, im Moment jedoch erscheinen mir die Unterschiede fundamental.
Auch im Rennboot sind frontale Wellen relativ unproblematisch, sofern man nicht vor Schreck das Weiterpaddeln vergisst. Bei schrägen Seitenwellen dreht der Razor sich jedoch überaus willig parallel zur Welle, so dass man teilweise stark gegenhalten muss. Das Mini-Ruder ist dabei auch nur bedingt hilfreich. Prekär sind manchmal die Kehren, vor allem, wenn man gegen die Welle fährt und dann in der Kurve die Wellen voll von der Seite anrollen, so dass man das Boot weiter um die Kurve zwingen muss - während man sich durch die umgelegte Pinne auf dem schmalen Stemmbrett kaum noch abstützen kann. Anstrengend fand ich persönlich auch bereits leichte Dünung, da mir das Auf und Ab ziemlich auf den Gleichgewichtssinn schlägt.
Vermutlich sind das alles Probleme, die man vor allem in der Lernkurve hat. An guten Tagen, wenn man seinen Rhythmus gefunden hat, belohnt das Rennboot mit einem Flow und einer Leichtigkeit, die mir bisher unbekannt waren. Der teilweise mühsame Weg hat sich also schon gelohnt. Cleaver, ich komme.
Viele Grüße
mjke