Willkommen! Anmelden Ein neues Profil erzeugen Nutzungsbedingungen

Erweiterte Suche

tidendynamik beim brackwasserpaddeln

geschrieben von olaf g 
tidendynamik beim brackwasserpaddeln
13. August 2005 14:18
Wenn es um Tideneinfluss beim Paddeln geht, wird immer wieder die 12er-Regel, die sicherlich auch eine wichtige Daumenregel für die Tidendynamik auf See ist, zitiert. Außerdem wird der Effekt herausgestellt, dass man beim Paddeln mit dem Ebbstrom (etwa beim Paddeln fluss- oder prilabwärts) weniger Zeit bis zum Kentern der Tide bleibt, als beim Paddeln mit der Flut. Diese Regeln, die für die Tide als ideale Sinuskurve gelten, sind jedoch in den Ästuaren der Elbe und Weser stark relativiert. Durch das flache Wasser wird die Tidenwelle, ähnlich der Brandung beim Auflaufen im Flachwasser, verformt, da aufgrund des Reibungswiderstandes der Wellenberg (Hochwasser) sich schneller fortpflanzt als das Wellental (Niedrigwasser). Dadurch wird die Gezeitenwelle so verformt, dass sich die Ebbe - also die Zeit zwischen Hochwasser und Niedrigwasser - verlängert und die Flut verkürzt. Der Flutstrom verstärkt sich dadurch (weshalb etwa in der Unterweser zwischen Brake und Nordenham die Strömung bei Flut flussaufwärts stärker ist als bei Ebbe flussabwärts). Diese Effekte haben sich durch die Flussvertiefungen noch verstärkt. Außerdem kommt es in den Ästuaren zu dem auch unter Seekajakern bekannten Nachlaufen des Ebbstroms (da das Wasser, dass mit der Gezeitenwelle flussaufwärts geströmt war, ja auch noch zurückfließen muss) und zur Reflexion der Tidenwelle an den Flusswehren (bei Geesthacht oder Bremen). Die Quelle für diese angelesenen Kenntnisse ist unter [www.baw.de] zu finden.
Anonymer Teilnehmer
Re: tidendynamik beim brackwasserpaddeln
13. August 2005 15:27
Das sind die Sachen beim Brackwasserpaddeln.
Mir fallen spontan noch einige andere Dinge im Zusammenhang mit der Tide und der Tidenwelle ein, allerdings mehr so fürs Wattpaddeln.
Ach ja, da ist noch so eine Sache. Kann man teilweise auch in Revierführern nachlesen. Beim kippen der Tide, kann es zu mitunter komplizierten Verteilungen von "läuft noch auf " und "läuft bereits länger ab" kommen. Kurveneffekte, Innen- und Aussenkurven etc.
Oder die Tide läuft an der Oberfläche des Wassers in die eine und weiter unten bereits oder noch in die andere Richtung.

Dann im Watt und bei den recht verzweigten, langen und verflochtenen Prielsystemen.
Angenommen der sehr Wasserreiche Prielstrom A ist sehr lang, das Wasser läuft auf. Der Priel hat ganz weit hinten Verbindung zu einem anderen, etwas kleineren Prielstrom B, der weniger "Zug" entwickelt. Man paddelt, wie gewohnt, so daß man zu Hochwasser in etwa am angenommen Wattenhoch ist, um dann mit dem erwarteten kippen der Tide den an deren Prielstrom hinunter zu fahren. Nur, nach Hochwasser hat man mit einem Mal Gegenstrom, wo man doch annahm man würde nun mit dem Strom (denn es läuft ja ab, es ist definitiv nach HW) fahren. Und zwar selbst IM definitiv in Richtung ablaufender Priel B!
Offenbar ist der einsetzende Ebbstrom von Prielsystem A so dermaßen stark, daß er bei HW und damit einer guten durchgehenden Wasserverbindung der beiden Prielsysteme, vom kleineren Priel B das Wasser mit zu sich wegzieht!
Das sind alles so Sachen, die stehen manchmal in guten Revierführern, oder auch nicht. Dann ist es eine Sache der guten Revierkenntnis, oder vielleicht auch nur eine Frage von gelegentlichen lokalen Effekten, die man kaum "vorhersagen" kann.

Das Meer ist eben nicht dazu geschaffen worden, daß wir Menschen darauf mit bester Leichtigkeit unsere Schiffe und Boote bewegen. :-)
Re: tidendynamik beim brackwasserpaddeln
14. August 2005 14:17
Das mit den komplizierten Verteilungen finde ich interessant. Im Buch über das Wattenmeer von Abrahamse u.a. findet man für den Effekt des ablaufenden Oberflächenwassers bei auflaufendem Wasser am Grund (also insgesamt bei eher steigendem Wasserstand, aber dennoch vor Kentern des Ebbstroms) eine plausible Erklärung: das Flutwasser hat vom Meer kommend einen höheren Salzgehalt (und idR eine geringere Temparatur) als das Ebbstrom aus dem Fluss oder Pril und damit auch ein größeres spezifisches Gewicht. Trotzdem tritt früher oder später natürlich eine Durchmischung mit entsprechenden Turbulenzen ein. Außerdem gibt es Untersuchungen von Hydrologen darüber, dass in großen Mündungen tideabhängiger Flusse wegen der Corioliskraft - die dafür sorgt, dass sich Tiefdruckgebiete auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn bewegen - tendenziell der Ebbstrom auf der (seewärts gesehen) rechten Seite stärker ist [bellnetweb.brc.tamus.edu]. Also immer schön rechts paddeln? :-)

Aber das ist natürlich alles graue Theorie und hilft meist wenig, weil alles dann doch komplizierter ist und die konkreten Gegebenheiten eine größere Rolle spielen. Danke deshalb, Jochen, für die Hinweise auf die Praxis und die Revierhandbücher. Leider schaffe ich es dieses Jahr aus Zeitgründen - und weil ich mich vorsichtig ans Meer rantasten will, nur auf die Untertrave und Lübecker Bucht und eventuell Unterweser. Für nächstes Jahr ist dann eine Außenweser-Tour, vielleicht nach Fedderwardersiel oder Neuwerk geplant, wo ich solche Kenntnisse auf die Probe stellen kann. Tipps für eine Anfängertour auf der Unter- und Außenweser sind deshalb jederzeit willkommen...
Anonymer Teilnehmer
Re: tidendynamik beim brackwasserpaddeln
15. August 2005 17:24

Moin Olaf, die Passagen

> Außerdem wird der Effekt
> herausgestellt, dass man beim Paddeln mit dem
> Ebbstrom (etwa beim Paddeln fluss- oder
> prilabwärts) weniger Zeit bis zum Kentern der Tide
> bleibt, als beim Paddeln mit der Flut.

und

> Dadurch wird die
> Gezeitenwelle so verformt, dass sich die Ebbe -
> also die Zeit zwischen Hochwasser und
> Niedrigwasser - verlängert und die Flut verkürzt.

krieg' ich nicht so recht zusammen: Die Ebbe wird verlängert, aber ich habe weniger Zeit während der Ebbe zu paddeln? Ist da ein Dreher drin oder habe ich etwas übersehen?

Gruß aus HH
Markus
Re: tidendynamik beim brackwasserpaddeln
15. August 2005 20:25
Das ist ja alles schön und gut:
Aber die einfache Lektüre der Tabellen eines Gezeitenkalenders lehrt mich:
Bremerhaven hat früher Hochwasser als Bremen.
Ergo: fahre ich in Bremerhaven mit Niedrigwasser los, habe ich das Tiedeintervall in Bremerhaven + Zeitverschiebung bis Bremen, also Länger als eine 1/2 Periode der gezeiten an einem festen Ort.

Fahre ich von Bremen nach Bremerhaven, habe ich in Bremen immer noch später HW als in Bremrhaven und trotz Ebb-Nachlauf beginnt die Flut eher in Bremerhaven als in HB, ergo ist meine Zeit flußab wesentlich geringer als flußauf. Übern dicken Paddlerdaumen 7h verglichen zu 5h.

Deswegen wird die Tiedenralley auch immer von Nordenham nach Bremern und nicht umgerkehrt veranstaltet.

Nün kann man einwenden:
Der lange Bürgermeister (genannt "der große Umarmer von Bremen) ist nun mal (Auch-)Paddler und möchte gerne in Bremen die Sieger der Ralley küren statt in Niedersachsen, wo ein anderer Paddler Politik macht, aber ob das der Grund ist????

Der ganze andere Theorie-Kram liest sich zwar schön, aber für das Brackwasserpaddeln ist meine Methode des simplen Lesen der Gezeitentabelle für mich völlig ausreichend, alles andere ist marginal.
Oderch? wie der Schweizer sagt....




Wolfgang
Anonymer Teilnehmer
Re: tidendynamik beim brackwasserpaddeln
15. August 2005 21:35
Himmi!
Jetzt hatte ich den Text so schön fertig, da war es zu spät ihn direkt hier los zu werden, musste zur ner Wohnungsguckung weg, jetzt komm ich wieder, hab die Mecker-Mail an Imray fertig und was ist? Wolfgang hat mir den ganzen Spaß genommen. Abba, ne, ich werd es trotzdem los --- hehe

Hallo Markus, Du scheiterst am verstehen von:
"... beim Paddeln mit dem Ebbstrom weniger Zeit bis zum Kentern der Tide bleibt, als beim Paddeln mit der Flut" ??
Bsp. Elbe, also das nasse Ding vor Deiner Haustür :-), HW/NW in Cuxhaven ist deutlich eher als Glücksstadt oder eben Hamburg. Nun paddel mal mit dem ablaufenden Wasser die Elbe hinunter, also in Richtung Cuxhaven, dann wirst Du den Zeitpunkt von NW (und damit der dann einsetzenden Flut) entgegenpaddeln bzw. die Flut eher treffen, als wenn Du nur Kreise vor der Haustür ziehst und auf NW wartest.
Umgekehrt, wenn Du von Cuxhaven mit dem auflaufenden Wasser (Flut) Elbaufwärts paddelst, hast Du mehr Zeit MIT der Flut zu paddeln, denn Du paddelst MIT der Flutwelle und damit hast Du länger Zeit bis für Dich HW ist.
Jetzt klar?
Sag mal, hast Du nicht nen Bö-schein??? ;-))
Re: tidendynamik beim brackwasserpaddeln
16. August 2005 21:33
Ihr habt natürlich alle recht, dass man beim Paddeln flussabwärts mit dem Ebbstrom letztlich weniger Zeit bleibt bis zum nächsten Niedrigwasser. Die Verlängerung der Ebbe schwächt den Effekt des gegen die Richtung der Gezeitenwelle Paddelns aber doch ein bißchen ab.

Im Tidenkalender ist dieser Effekt der "Verformung der Tidenwelle im Ästuar" oder mit anderen Worten die Verlängerung der Dauer der Ebbe schon berücksichtigt: für heute ist laut Tidenkalender in Bremerhaven HW 10:01, NW 16:14 h, für Bremen Oslebshausen HW 11:40, NW 18:47 h, also eine Dauer der Ebbe für Bremerhaven 6 h 13 min, Bremen 7 h 07 min. Für die Elbe sind die Werte noch extremer: Cuxhaven: 6 h 44 min Ebbe, St. Pauli: 7 h 22 min Ebbe, Zollenspieker: 8 h Ebbe. Gesamtdauer Ebbe und Flut dabei natürlich gleichbleibend etwa bei 12 Stunden, 24 min, so dass sich die Flutdauer entsprechend verringert. Das wenige, was man dadurch gewinnt, ist tatsächlich bei der Fahrt flussabwärts schnell wieder aufgefressen, da man ja entgegen der nächsten Flutwelle fährt.

Trotzdem hilft der Tidenkalender für den Paddler, der sich ja auch für die Strömung interessiert, nicht nur für den Wasserstand, offenbar nicht immer weiter. Hier ein Zitat von Siegfried Fuß aus der Kanusport 2/2004 (abrufbar auf [kvu.der-norden.de]): "Wir waren genau zu dem Zeitpunkt auf der Elbe (erg.: bei Otterndorf), zu dem laut Tidenkalender Niedrigwasser eintreten sollte. Da drei Tage vorher Neumond war, rechnete ich damit, dass die Ebbe wegen der Springtide noch etwa eine Stunde nachlaufen würde. Es wurden schließlich fast zwei Stunden daraus, die wir gegen die Strömung fahren mussten." Also, entweder das BSH hat vergessen, die Springtide zu berücksichtigen (unwahrscheinlich...). Oder es interessiert sich in erster Linie für den Wasserstand, also Hochwasser/Niedrigwasser, nicht so sehr für die Gezeitenströmung an der Flussoberfläche. Das muss aber doch nicht immer zusammenfallen! Dieser Effekt des Nachlaufens der (Oberflächenströmung-)Strömung bei auflaufendem Wasser kann doch eigentlich ganz plausibel erklärt werden mit der unterschiedlichen spezifischen Dichte von Salz- und Süßwasser: die das schwerere Wasser der Flut schiebt sich dann wie ein Keil unter das oberflächlich noch flussabwärts strömende Wasser des nachlaufenden Ebbstroms. Obwohl es erstaunlich ist, dass es im obigen Beispiel 2 Stunden anhält - trotz der relativ turbulenten Strömung in der Elbmündung bei Springtide, die doch schnell zu einer Durchmischung führen sollte.

Zur Wesertidenrallye ist mir noch eingefallen, dass die ja in den letzten Jahren immer erst eine Stunde nach Niedrigwasser angefangen hat. Ist das nur wegen der Möglichkeit zum Einsetzen der Boote - oder etwa auch wegen nachlaufender Ebbströmung, die einem sonst am Anfang noch zu schaffen machen könnte? Vielleicht wird beim Paddeln weserabwärts entsprechend die Zeit nach Niedrigwasser nicht genutzt, da befürchtet wird, man müsse gegen die Strömung paddeln!? Aber Ihr vom KVU müsstet den Effekt des nachlaufenden Ebbstroms doch eigentlich kennen, wenn es ihn denn gibt.

Ach ja, gerade eben habe ich noch mal bei der Strömungsvorhersage des BSH nachgesehen (http://www.bsh.de/aktdat/modell/stroemungen/Modell1.htm). Erst
nach 19 Uhr gibt es eine nennenswerte Flutströmung auf der Weser vor Bremerhaven. Obwohl um 16:14 Uhr NW war. Also seid Ihr Euch wirklich sicher, dass eine Tidenrallye flussabwärts nicht mögich wäre? Ich bin mir nicht mehr so sicher.

Gruß
Olaf
Re: tidendynamik beim brackwasserpaddeln
16. August 2005 22:28
Hei,

nun bin ich kein Wattexperte, u.a. weil ich hier nur 50 cm Tidenhub zu verbuchen habe, aber eine alte Karte von der Gegend Otterndorf habe ich noch da. Ich kan mir dort extrem gut vorstellen, daß das Wasser entlang Otterndorf noch abfliesst, während es hinter Medemsand schon wieder nach Brunsbüttel reinschwappt, also ein Wirbel im Kleinen ähnlich wie das, was im Skagerrak passiert. Vor der norwegischen Südküste ist eine permanente Strömung zur See, quasi ein ewiger Ebbstrom, während es vor Dänemark reinströmt (da wohnt ja auch Lars Reinstrøm).

Wasserstand und Strömung sind natürlich nicht ganz streng gekoppelt, gerade wenn das Wasser mehrere Wege fliessen kann (Strudel) und Frischwasser hinzukommt. Ich denke auch (bin mir fast sicher), die Tidenkalender beziehen sich ausschließlich auf den Wasserstand. Strömungskarten gibt es doch extra, oder?

Aber eben wegen dieser Unsicherheiten vertrete ich die Meinung, daß ein Tidenkalender beim Brackwasserpaddeln so sinnvoll ist wie eine Strassenkarte zum Wandern - ein grober Anhaltspunkt. Nach dem ersten Tag kann man sich die Zeiten der Wasserstände und Strömungen ebenso genau vom Vortag extrapolieren. Ok, es hilft, die ungefähren Offsets verschiedener Orte entlang des Flusses zu kennen.

Gruß

Volker
Re: tidendynamik beim brackwasserpaddeln
17. August 2005 21:51
Freut mich, daß Du die KVU-Homepage liest...
Tiedenralley:
Kennst du die Verhältnisse in Nordenham beim WSV?
Vor allem bei NW?
Ist ganz klar - wegen der Schlickmengen bei NW können die erst weit nach NW starten (deswegen gibt es auch nicht mehr die alten Gold-Ziele von vor 20 Jahren.

Flutstrom nach NW in Bremerhaven:
Auch hier schau ich nicht lang in die Theorie des BSH, sondern nehme meine Erfahrung als alter KVU'ler und die vielen Blicke von der Geestemole: ne Stunde nach NW strömt es schon ganz schön!!!
Natürlich 3 h nach NW haut's da ganz mächtig vorbei. Dann hat's auch schon mal nen Fischdampfer gegen die Molen gedrückt und auch der Lotse oder die Weserfähre müssen die Moleneinfahrt verflixt genau mit Vorhalt anvisieren, sonst hängen die ebenfalls in den Molenköpfen (alles schon passiert, wie man an den vielen Flickstellen im Mauerwerk der Nordmole sieht.

Was Strom ist, haben die Teilnehmer von Deutschlands erste richtiger OUTRIGGER Offshore Regatta der [www.outrigger47challenge.de] während der Sail 2005 am letzten Wochenende deutlich gespürt - da mußte kräftig gegenangepullt werden auf der Strecke vom Strand bis zur Tonne 47 , demnächst gibt es auch Photos des Ereignisses.

Wolfgang
In diesem Forum dürfen leider nur registrierte Teilnehmer schreiben.

Klicke hier, um Dich einzuloggen

Meer erfahren - fair kommunizieren.