Moin,
wir haben an dem von Udo gelieferten Beispiel gesehen, wie die Salzwasserschwierigkeitsgrade für theoretische Betrachtungen, Vorplanungen und für Analysen nützlich sein können.
Wer nun die vielen Items, die man drauf haben soillte, um so eine Bewertung zu treffen , gar nicht kennt, die Vermaschung der vielen eingehenden Faktoren nicht durchschaut und oder gar nicht gewichten kann, da es ihm an ErFAHRUNG fehlt, der sollte halt mal vor der Fahrt von der Annahme ausgehen, dass sie eben nicht gelingt.
Wir sollten uns auf den eventuellen Fall des Scheiterns unser Planung einstellen. Die zu treffenden Maßnahmen, immer jeweils auf den jeweiligen taktischen Fahrtabschnitt neu bezogen, sollten vorher unter kritischer Würdigung sich womöglich dramatisch verschlechternder Umstände festgelegt werden.
Dazu gehört eine Fahrtentaktik, eine Aufgliederung der Fahrt in spezielle Abschnitte, und das alles kann man nicht mal so eben am Wochenendkursus mitnehmen.
Auch wenn man sowas Symposium oder sonstwie nennt, es ist keine akademische Übung und hängt sehr mit Revierkenntnis, Umsicht und ErFAHRUNG zusammen.
Ohne aktuelle Befahrung des Reviers in den letzten Wochen muß man doppelt vorsichtig sein.
Ich hatte das Glück, mit einem Fischer fahren zu können, es gab sehr interessante Beobachtungen, die dem Gelegenheitspaddler dort entgehen.
Vor allem war das Resümee der letzten Jahre anders gewichtet und auch der Ausblick anders, als es allgemein gesagt wird. Ich muß sagen, ich bin zwar froh über neue wissenschaftliche Erkenntnisse des ALR, und deren neue Karten zur Strömungsproblematik. Aber ich traue eher meinem Hintern, der vom Boot ganz klar und eckig gesagt bekommt, wo was echt abgeht. Ich war denn auch hocherfreut, als sich meine Einschätzungen bestätigten, der Fischer spürt das beim Fischen mit den schweren Geschirr ja auch sehr intensiv und braucht auch echt lange, um Strecken mit Netz abzufahren.
Das nun starr in neue Karten zu zeichnen , bringt nichts, es ist echt ein System von vertreibenden Sandbänken, das keineswegs zur Ruhe kommt. Uns stören die Bänke gewaltig wegen der sicher darauf abspielenden Wellenproblematik, die wiederum tidenstandsabhängig ist.
Hilfreich sind echte Ausdauer und Seegangsfestigkeit. Wer das Chaos schon erlebt hat, wer schon oft den Mors auf Grundeis hatte, und das alles überstanden hat, wird weniger hochriskant paddeln und dann, wenn es ihn doch ganz hart trifft, ruhiger bleiben.
Ich meine inzwischen sogar nach so vielen Führungsfahrten, dass die psychische Führung ganz entscheidend ist. Der Führer einer Fahrt kann auch sehr still und scheinbar zurückgezogen sehr viel Führungskompetenz haben und seine Gruppe erheblich psychisch stützen. Die höchste Kompetenz hat er vielleicht gerade dann, wenn er als einziger gegen alle gerade noch rechtzeitig gegen den Widerstand seiner Paddler rechtzeitig erkennt, wenn er ein Unternehmen abbrechen muß, umkehren muß, Schutz aufsuchen muß.
Wer ohne Balancierstange aufs Seil über den Pril geht, ist vielleicht nicht mutig, sondern imkompetent. Nur wer sich erst mal theoretisch zutraut, sich auch kapital falsch entscheiden zu können und den größten Bockmist zu bauen, der wird es leichter haben, umsichtig und vorsichtig zu sein.
Ohne jegliches konkretes Anzeichen einer dramatischen Wetterverschlechterung, bei strahlend blauem Himmel, habe ich einen ganzen Tag lang das besuchende Fernsehteam mit einer friedlichen hochsommerlichen Nordseefahrt in Hallignähe hingehalten und enttäuscht, weil es klar war, das es irgendwann gewaltig krachen sollte.
Wehe, wenn ich der Versuchung nicht standgehalten hätte, und das eigentliche ferne und völlig ausgesetzte Planziel doch aufgesucht hätte. Das hätte am Abend auf See eine Katastrophe gegeben, die auch das motorisierte Rettungsboot mit dem Kamerateam nicht überstanden hätte. - Nur wenige Wochen später endete ein Nordseekurs auf der Fähre, und wir bekamen tatsächlich mehr als versprochen: 10 Beaufort und Starkregen mit null Sicht. Zwar nicht sehr lange, aber es hätte gereicht.
Wie kommt es denn, dass die Nordseeinsulaner fast gar nicht Seekayak fahren?
Wie kommt es, dass weder die Marine noch die DGzRS keine tabellarischen Schwierigkeitsbewertungssysteme kennen?
Der Grund leigt einfach in der ungeheuren Dynamik, die dem Meer wesenseigen ist.
Da ist auch noch lange nicht alles erforscht.
Einzelne Seegebiete sind schon bei sehr wenig Sturm, also 8Bft., auch für ja selbstaufrichtende Strandrettungsboote und Tochterboote der DGzRS unfahrbar. Es hängt von den Bedingungen ab, Zeitpunkt, Windandauer, Windwirkstrecke, Geschwindigkeit usw., das hatten wir ja alles schon.
Wer die See kennt, wird vor ihr ehrfurchtsvollen Respekt haben, still bleiben und nicht widersprechen.
Wer sie nicht kennt, soll unbedingt mal drei Orte bei Starkwind betrachten:
Hörnum-Odde, Felssockel Helgoland Westufer, Klotzenloch.
Die beiden erstgenannten Orte sind von Land aus zu betrachten, es gibt dazu auch Videos und Bildmaterial. Alles nur bei 8 bis 9 Gedreht/fotographiert, sonst geht das gar nicht, weil kein Stativ dann noch statisch stabil bleibt.
Das Klotzenloch bei 8 Beaufort, womöglich Wind gegen Strom, kenne ich nicht und kann auch gerne drauf verzichten. Dort steht schon zur mittleren Normaltide zur Mitzeit ein Strom von 4,5 kn; die Fischer von Friedrichskoog haben mir aber gesagt, das sei eher deutlich untertrieben, ein sechs Knoten laufendes Nebenerwerbsfischerboot könne dort keinsfalls auf der Stelle bleiben.
Wer den Berufsschiffern im Wattenmeer auf die Brücke folgt, wird bei Schlechtwetter immer einen angestrengten Ausguck und hohe Konzentratiion beobachten. Der Blick klebt keineswegs auf der mitlaufenden elektronischen Seekarte, die wird nicht beobachtet.
Was zählt, ist der AKTUELLE REALE BLICK VORRAUS UND DAS GESPÜR.
Wir hatten kaum die Indikatoren dafür erahnt, warum bei Starkwind die Fähre im letzten Augenblick ihr schwungvollens Anlegemanöver in Schlüttsiel urplötzlich abrupt abbrach.
Es ist sonst ein Schauspiel, die heftige Drehung des wendigen Gefährts zu sehen, jetzt aber reichten unzählige Manöver nur nach sehr langen Minuten aus, die Fähre doch noch richtig zu positionieren. Das Vektorenspiel mit den drei Maschinen, mal das Bugstrahlruder mitgezählt, mit dem böigen Wind, dem setzenden Strom aus dem Siel, den Leit- und Hilfsdalben war durchaus nicht mehr Routine, wenn auch wie immer seelenruhig gekonnt durchgeführt.
Es hat halt lange gedauert, und wegen der anderen Schiffe im Becken, den Kleinfahrzeugen an den Schwimmstegen und wegen des drohenden Schwells war auch nur ein wohltemperierter Umgang mit den Fahrhebeln angesagt. Bei aktuell 8 Bft., Wellen unter einem Meter.
Nicht lange vorher hat es einen Fischkutter vor der Eider erwischt, im Spätsommer bei 10 Bft., er sandete schnell ein, eine Boje markiert ihn. Die Insassen konnten nach 1,5 Stunden erst geborgen werden. Das dürfte auch eine durchschnittliche Mindestzeit sein, die wir zu warten hätten, wenn wir in der Lage wären, den Seenotfall mitzuteilen.
Dies Jahr war das Wetter oft sehr ungehorsam gegenüber den Wetterfröschen und öfter sehr windig.
Das Meer ist wunderbar, aber es hat nie behauptet, wir sollten seinetwegen frühzeitig die Radieschen von unten beschauen.
Ich fahre seit Ewigkeiten unfallfrei Auto. Mein Fahrlehrer hat uns damals, als wir den LKW Schein machten, eingebleut: Im Zweifelsfalle sofort runter mit der Geschwindigkeit.
Auf See hieße es dementsprechend: Im Zweifelsfalle nicht fahren!
Moin moin
Eckehard